Jun 1

Geschleckt

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Wie bitte, ich lese wohl nicht richtig! Da ist der „ungeliebte Menschenschinder“ endlich pleite, ein paar Tausend Mitarbeitern wurde die Freiheit zurückgegeben, und unattraktive Drogeriemärkte verschandeln nicht länger unsere Nachbarschaft. Doch statt Jubelschreie hört man jetzt lautes Jammern, dass 13.000 Mitarbeitern keinen Job mehr haben, in vielen kleineren Gemeinden die letzte Einkaufsmöglichkeit geschlossen wurde und die ehemaligen Mitarbeiter sagen: „Die Arbeit bei Schlecker hat mir Spaß gemacht!“ Wie ist es möglich, dass Schlecker plötzlich fehlt, obwohl es wie kaum ein anderes Unternehmen, viele Jahre lang für negative Schlagzeilen gesorgt hat?

Wie konnte es passieren, dass Schlecker mit seinem Konzept zur größten Drogeriemarktkette werden konnte und heute pleite ist?

Natürlich habe auch ich gelesen, dass man zu spät in neue Läden investiert hat, dass die Mitarbeiter schlecht behandelt wurden, aber ist das wirklich der Grund? Komisch ist nämlich, dass mir das Alles bei meinen gelegentlichen Einkäufen in diversen Schleckermärkten nie aufgefallen ist! Im Gegenteil, die Mitarbeiterinnen waren besser drauf, als sie es heute – ohne Schlecker – sind und das was ich gesucht habe, bekam ich immer. Natürlich war das kein Einkaufserlebnis, wie bei Müller oder dm, aber ich habe ja meistens nicht danach gesucht, sondern schlichtweg nur nach Rasierschaum, Duschseife oder einer Zahnbürste.

Wenn ich das Geschehen analysiere, dann ist Schlecker nicht an seinem Konzept gescheitert, sondern weil er ihm untreu geworden ist! Er hat sich dem Zeitgeist, den Medien, aber auch der Gewerkschaften gebeugt und wurde damit nicht besser, sondern schwächer! Die erste Medienkampagne folgte übrigens auf einen Überfall in einer Filiale. Es gab kein Telefon, um Hilfe zu rufen und schon war klar: „Hier wird auf Kosten der Beschäftigten an Sicherheit gespart!“ Mir ist zwar bis heute unklar, wie ein Mitarbeiter, dem man eine Pistole vor die Brust hält, schnell mal die Polizei anrufen kann – aber ich kann auch nicht alles wissen. Doch zig Tausend Telefonanschlüsse, Gehälter, die über dem lagen, was ein so kleiner Laden erwirtschaften kann und neue Ladenkonzepte, die sich in kleinen Orten niemals rechnen, all das hat dazu geführt, dass Schlecker zu einem Vertriebskonzept wurde, das nicht mehr überlebensfähig war!

Nein, ich mache den Gewerkschaften keinen Vorwurf, dass sie für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, aber wenn man über das Ziel hinausgeschossen ist, dann darf man anschließend nicht mit dem Finger auf denjenigen zeigen, dem man dazu gezwungen hat! Vorwürfe mache ich aber denjenigen, die sich offen für den Boykott von Schlecker ausgesprochen haben und jetzt an vorderster Front den Verlust dieser vielen Arbeitsplätze beklagen. Das ist übelster Populismus und den kann ich ebenso wenig ertragen, wie den Vorwurf, dass sich Herr Schlecker seiner Verantwortung entzieht! Das setzt allem die Krone auf, denn Herr Schlecker gehörte zu einer Generation von Kaufleuten, die es leider heute kaum noch gibt. Er schützte sich nicht durch eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern er haftet mit jedem Euro seines Privatvermögens für seine ehemalige Firma! Er hat verloren, wofür er ein Leben lang gearbeitet hat, bekommt keine Abfindung und es gibt niemand, der ihm Hilfe anbietet. Selbst der Staat kann und darf es nicht, obwohl Herr Schlecker in besseren Zeiten, hunderte von Millionen an Steuern überwiesen hat.

Ich breche keine Lanze für Herrn Schlecker, denn ich kenne nicht ihn, sondern nur sein gescheitertes Lebenswerk. Er tut mir daher ebenso leid, wie die Mitarbeiter von denen viele in ihrer Gemeinde keine Arbeit mehr finden werden! Ich bedauere die vielen alten Leute ohne Auto, die ihre letzte Einkaufsmöglichkeit verloren haben, ich sorge mich um unsere Volkswirtschaft, der ein weiterer Schaden entstanden ist. Hohn und Spott aber kommen mir nicht über die Lippen. Vielmehr finde ich bestätigt, dass viele Leute ganz viel über Wirtschaft zu wissen glauben, in Wirklichkeit aber keine Ahnung haben! Das ist wie beim Fußball, dort stehen 22 Amateure auf dem Platz und gegenüber bis zu 60.000 Profis auf den Rängen, die genau wissen, wie man ein solches Spiel gewinnt!

Ihr
Hans Rudolf Wöhrl

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